Stiftsmusik planen in Zeiten von Corona
Nachgefragt bei Geschäftsführerin Gabriele Zerweck
Livemusik ist schwierig geworden in Zeiten der Corona-Pandemie. Umso mehr, wenn es sich dabei um Vokalmusik handelt, noch dazu im Ensemble. Denn beim Singen kommen die sogenannten Tröpfchen und Aerosole ins Spiel, also Partikel, die beim Husten und Niesen, beim Atmen, Sprechen und eben auch beim Singen freigesetzt werden und das Virus übertragen können. Das macht nicht erst Konzerte, sondern schon Chorproben nahezu unmöglich.
Gabi, wie wirkt sich das auf die Arbeit und die Planungen der Stiftsmusik aus?
Es ist schon verrückt! Die Planungen seit Corona fordern ein Höchstmaß an Flexibilität von allen Beteiligten – und eine Kurzfristigkeit, die wir uns bis vor einem Jahr nicht hätten vorstellen können! Normalerweise planen wir weit im Voraus, sowohl was die Besetzungen der eigenen Ensembles angeht als auch die Verpflichtung von Gastensembles, die ein bis zwei Jahre im Voraus eingeladen werden. Seit knapp einem Jahr ist daran überhaupt nicht mehr zu denken!
Im ersten Lockdown haben wir zunächst natürlich alle Konzerte absagen oder verschieben müssen. Und wir hätten uns nie träumen lassen, dass wir dieselben Konzerte nun erneut verschieben müssen! Nehmen wir zum Beispiel das Mozart-Requiem mit der Stuttgarter Kantorei, das wir ursprünglich für Karfreitag 2020 geplant und dann auf Ende November verlegt haben. Für den Ersatztermin haben wir die Konzertplanung an alle Auflagen angepasst: Der Chor sollte geteilt in zwei Konzerten singen, selbstverständlich mit Abstand und Maske. Alle, die Karten für das Karfreitagskonzert gebucht hatten, haben wir einzeln angeschrieben und coronakonform auf die beiden Konzerte verteilt, was ein irrer Aufwand war. Als dann im November der zweite Shutdown kam, war das schon bitter! ... jetzt hoffen wir auf den dritten Anlauf im Juni...
Andererseits freuen wir uns, dass wir doch auch einiges an Musik haben stattfinden lassen können, trotz Lockdown und allen Einschränkungen. Das waren teils neue Formate wie die Freiluftkonzerte »Musik schenken« oder »Musik & Psalm« als kurze liturgische Variante unserer »Stunde« oder die ersten Konzerte in der Stiftskirche mit Abstand und Plexiglas-Schutz nach vielem Ausmessen und akustischen Tests. Bei all diesen neuen Herausforderungen war und ist es schon ein tolles Gefühl zu spüren, wie das ganze Stiftsmusik-Team, aber auch Stiftspfarrer und Mesner der Stiftsgemeinde immer nach vorne blicken, immer mit Energie und Zuversicht durch die Krise gehen – und immer darum bemüht sind, den Menschen in dieser schwierigen Zeiten zu helfen, auch mit Musik!
Konzerte sind derzeit untersagt. Bedeutet das Leerlauf im Büro?
Schön wär’s! Das Gegenteil ist der Fall. Nach wie vor ist es ja so, dass wir uns von Verordnung zu Verordnung hangeln und unsere Veranstaltungen dann immer wieder neu anpassen. Normalerweise ist bei uns ja alles längst geplant und organisiert, bevor ein Konzert stattfindet, da sind ganz viele Prozesse automatisiert, damit wir mit so einem kleinen Team überhaupt so viele Konzerte stemmen können … Seit Monaten ist es ja so, dass wir etwa alle vier Wochen erfahren, ob es Verschärfungen oder Lockerungen gibt oder nicht … Die letzten Tage haben wir zum Beispiel damit verbracht, geplante Konzerte von April bis Juni 2021 mit kleinen Ensembles neu zu besetzen, weil Chöre aus der Schweiz oder aus Serbien nicht nach Stuttgart reisen und Hochschulchöre aus Hamburg und Frankfurt nicht proben und also keine Konzerte vorbereiten können.
Außerdem veranstalten wir ja gemeinsam mit der Stiftsgemeinde jeden Freitag Abendgottesdienste, die mit viel Musik etwas Trost in der stillen Zeit spenden. Die musikalische Gestaltung liegt bei uns, wir engagieren die Musiker*innen. All das will dann auch noch jeweils aktuell unseren Besucher*innen kommuniziert werden, insofern wird es uns ganz sicher nicht langweilig! … Aber ich sehne mich doch sehr nach einer Zeit, in der wir wieder längerfristig planen können und weniger mit der Ad-hoc-Organisation beschäftigt sind!
Die nächsten Wochen, vielleicht auch Monate, bleiben unsicher. Welche Perspektiven siehst Du?
Das ist natürlich super schwierig mit den Perspektiven! Die jüngste Vergangenheit hat uns ja gezeigt, dass man da ganz schön daneben liegen kann. Ich bin aber von Grund auf optimistisch veranlagt und hoffe daher, dass ab Ostern wieder Konzerte in kleinem Rahmen stattfinden dürfen – sicher noch keine großen Oratorien und sicher auch mit den gelernten und bekannten Hygieneauflagen, aber das wäre für uns und natürlich für die ganze Kunst- und Kulturszene ein erster Schritt und vor allem eine Perspektive, die alle, die in dieser Branche tätig sind, so dringend benötigen!
Da fällt mir wieder Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ein, der schon im Herbst letzten Jahres gesagt hat: »Gehen Sie ins Theater. Da sind Sie sicherer als zu Hause«. Und klar: In einem Konzert in der Stiftskirche sitzt man schweigend mit viel Abstand. Für wie sicher hältst Du einen Konzertbesuch?
Also ich bin ja jeden Freitag – ob Konzert oder Gottesdienst – vor Ort in der Stiftskirche und habe mich noch kein einziges Mal unsicher gefühlt. Wir hatten das von Beginn an super gut geregelt mit den Abständen: ob beim Einlass oder bei der Verteilung der Sitzplätze. Die Stiftskirche ist ja so riesengroß und enorm hoch, also das Gegenteil von einem stickigen, schlecht gelüfteten Raum … Zudem sollte man auch nie die Vernunft und das hohe Verantwortungsgefühl der Besucher*innen unterschätzen! Aus unserer Erfahrung verhalten sich alle diszipliniert und rücksichtsvoll. Insofern kann ich Herrn Brosda nur zustimmen und sein Wort zu den Theatern bedenkenlos auf die Stiftskirche übertragen!