Stiftsmusik Stuttgart

Es geht voran!

Auf dem Weg zur Königin-Katharina-Orgel

Unter der Trägerschaft der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart haben Stiftkantor Kay Johannsen und die Stiftsmusik Stuttgart 2019 das Projekt eines Orgel-Neubaus für die Schlosskirche ins Leben gerufen: die Königin-Katharina-Orgel. Sie, lieber Herr Haller, sind seit 2020 Mitglied der Orgelkommission. Vorab eine ganz grundsätzliche Frage: Warum braucht die Schlosskirche eine neue Orgel? 

Die Frage ist doch: Was möchte man von einer Orgel? Wenn man damit zufrieden ist, dass eine Orgel einen Ton gibt, wenn man eine Taste drückt, dann würde ich sagen: kein Problem! Aber klar ist, dass Kay Johannsen und die Stiftsmusik einen anderen Anspruch haben (und haben müssen) an eine Orgel in diesem ganz besonderen Raum. Und da stößt die derzeitige Schlosskirchen-Orgel tatsächlich an Grenzen.

Wie kommt das? So alt ist die Orgel doch noch gar nicht …

Nun, jede Orgel ist ein Kind ihrer Zeit und repräsentiert den Zeitgeist nicht nur stilistisch, sondern auch technisch-konstruktiv. Die Schlosskirchen-Orgel ist Baujahr 1980 – eigentlich unglaublich jung –, entstanden einer Zeit, als sich der Orgelbau in Deutschland neu finden musste. Nach 1920 gab es mit der sogenannten Orgelbewegung einen radikalen Bruch mit der Tradition. Alles, was nach 19. Jahrhundert und Romantik klang, wurde strikt abgelehnt. Erst Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre erkannte man, dass das ein Irrweg war im Orgelbau. Doch die Orgel in der Schlosskirche ist noch ein typisches Beispiel für ein Instrument, das hörbar in der Orgelbewegung verhaftet und somit in seinen klanglichen Möglichkeiten begrenzt ist. Außerdem ist es so, dass die Orgel, obwohl sie noch gar nicht so alt ist, doch schon erhebliche technische Mängel aufweist, die sich auch nur mit unverhältnismäßigem Aufwand beheben lassen.

Wie also soll die neue Orgel aussehen – und was soll sie können?

Ziel der Königin-Katharina-Orgel ist es, an die Tradition der Schlosskirche anzuknüpfen – und da galt es einen Bezugspunkt zu finden, an den man anknüpfen kann. Denn im Lauf der Geschichte gab es viele Orgeln in der Schlosskirche, die erste 1562. Danach folgten etliche Neubauten in kurzen Abständen … und an unterschiedlichen Standorten in der Schlosskirche. Als die Schlosskirche 1865 im neugotischen Stil umgestaltet wurde und die Gestalt bekam, die wir heute kennen, hat sie wieder eine neue Orgel bekommen. Der berühmte Orgelbauer Eberhard Friedrich Walcker hat sie geplant und realisiert – und zwar auf der Empore, allerdings nicht da, wo die Orgel heute steht, sondern genau gegenüberliegend. Und da soll auch die neue Orgel wieder hin, die sich auch klanglich und baulich an der Walcker-Orgel von 1865 orientieren soll – erweitert und angepasst natürlich an die Bedürfnisse, die man als Organist im 21. Jahrhundert hat.

Über die Walcker-Orgel wissen wir recht viel, da gibt es Informationen aus den Archiven der Orgelbaufirma, auch über die zwei Erweiterungen, die später vorgenommen wurden. Und man weiß auch, wie die Orgel aussah. Optisch stand sie völlig im Einklang mit der Neugotisierung des Kirchenraums. Wie gesagt: Die Orgel wurde zwei Mal erweitert und umgebaut und im Zweiten Weltkrieg dann so sehr beschädigt, dass sie nach dem Krieg instandgesetzt und orgelbewegt umgebaut wurde. So kam die Orgelbewegung mit ihrer radikalen Abkehr von der Klanglichkeit des 19. Jahrhunderts und einer Rückbesinnung auf Zeit nach dem 30-jährigen Krieg hier seit dem Krieg zum Klingen. Als die Schlosskirche in den 70er Jahren renoviert wurde, hat man die Nachkriegs-Walcker-Orgel schließlich durch eine neue Orgel aus der Werkstatt des Stuttgarter Orgelbauers Diethelm Berner ersetzt – noch im Geiste der Orgelbewegung, wenn auch etwas weniger radikal. Jedenfalls ist die Klanglichkeit der Orgel weder für romantische Musik noch für Bach geeignet.

Sie sind Teil der Orgelkommission. Was sind Ihre Aufgaben?

Im Grunde bin ich eine Art Mittelsmann zwischen den Interessen der Kirchengemeinden und der Orgelbauer. Als ich in die Orgelkommission kam, wurde gerade der Prozess eingeleitet und es ging exakt um die Fragen, die wir bereits besprochen haben Wie soll die Orgel aussehen? Wo soll sie stehen? Wie soll sie klingen? Was müssen wir tun, um diese Orgel bauen zu dürfen? Die Situation ist kompliziert – und Vieles muss bedacht werden. Es ist ja zum Beispiel so, dass die Schlosskirche gar nicht der Kirche gehört, sondern dem Land. Und natürlich muss man zuallererst den Eigentümer fragen, wenn man ein solches Bauvorhaben hat. Dann gilt es natürlich die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege zu berücksichtigen, das sind wiederum zwei getrennte Behörden, mit denen es ein Einvernehmen zu finden gilt. Selbst wenn man das Ziel hat, einen historischen Zustand wiederherzustellen, ist es gar nicht so einfach, das mit den Interessen des Denkmalschutzes zu vereinbaren. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, stellen sich natürlich auch Fragen wie: Was passiert, wenn wir die Orgel abbauen? Ein solches Instrument hat ja ein erhebliches Gewicht, und durch dieses Gewicht biegen sich die Balken der Empore um ca. 13 mm durch. Können Risse im Stuck entstehen, wenn das Gewicht plötzlich wegfällt (oder auf der anderen Seite hinzukommt) – oder: Wie kann man das verhindern? Diese und tausend andere Fragen gilt es gründlich zu prüfen, denn letztlich muss gewährleistet werden, dass die Schlosskirche keinen Schaden nimmt.

Davon abgesehen ist die Schlosskirche nicht nur ein sakraler Raum, sondern auch Teil des Landesmuseums. Die kunsthistorisch wertvollen 12 Relieftafeln von Sem Schlör (um 1530–1597/98 sind dort untergebracht – und zwar genau da, wo die Königin-Katharina-Orgel jetzt hinsoll. Sprich: Die Tafeln brauchen einen neuen Platz, am besten an einer anderen Stelle in der Kirche, als Teil des Museumsrundgangs.

Viel Abstimmungsbedarf also mit verschiedensten Fachleuten und Institutionen – das kostet Zeit … 

Ja, tatsächlich haben wir in den letzten beiden Pandemie-Jahren vor allem an solchen Fragen gearbeitet. Und versucht, nichts und niemanden dabei zu vergessen. Aber jetzt sind alle Informationen da – und die Aussicht auf Genehmigung! Wir haben eine Idee, wie die Orgel klingen soll, wie sie ungefähr aussehen soll, beides in Anlehnung an die Walcker-Orgel von 1865. Aber klar ist auch, dass sie nicht ganz genauso aussehen und klingen wird wie die Walcker-Orgel. Es ist durchaus auch im Interesse des Denkmalamts, dass man der neuen Orgel ansieht und -hört, dass sie ein Produkt des 21. Jahrhundert ist. Die Katharina wird keine Rekonstruktion der Orgel von 1865 sein, aber sie wird sicht- und hörbar davon inspiriert sein. 

Was sind die nächsten Schritte? Wie geht es weiter?

Momentan stehen wir in Verhandlung mit verschiedenen Orgelbauern. Für das Projekt gibt es eine beschränkte Ausschreibung an einen Bieterkreis von vier Orgelbaufirmen, von denen wir wissen, dass sie eine große Orgel auf kleinem Raum bauen können. Sie haben von uns ein Leistungsverzeichnis bekommen mit der Bitte um ein Angebot. Die aktuelle Situation mit Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg verkompliziert das Ganze leider zusätzlich. Derzeit herrschen schwierige Bedingungen: einige Materialien sind nicht oder nur schwer verfügbar – und die Preise unberechenbar. Es stellt sich die Frage, ob die Orgelbauer überhaupt zum vorgesehenen Zeitpunkt liefern können … Es bleibt spannend. Gespannt sind wir natürlich vor allem darauf, mit welchen Ideen die Orgelbauer auf unsere Ausschreibung reagieren – vielleicht haben sie ja Lösungen, an die wir in der Orgelkommission noch gar nicht gedacht haben! Im nächsten halben Jahr sollten dann die letzten Entscheidungen für den Orgelneubau getroffen sein … Wir machen es uns nicht leicht, denn unsere Katharina soll ja möglichst nachhaltig sein: technisch solide und klanglich so überzeugend, dass sie auch stilistische Umbrüche der nächsten Jahrzehnte und vielleicht sogar Jahrhunderte übersteht. 

Vielen Dank, lieber Herr Haller, für diese spannenden Einblicke in ein großes Projekt!

 

Zur Person

KMD Thomas Haller, Bezirkskantor für den Evangelischen Kirchenbezirk Aalen an der Stadtkirche Aalen und Orgelsachverständiger der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, ist seit 2020 Mitglied der Orgelkommission für die Königin-Katharina-Orgel. Er schreibt Publikationen über die Orgellandschaft seiner schwäbischen Heimat und hat Lehraufträge für Orgelbaukunde an den Musikhochschulen in Freiburg und Stuttgart sowie im Orgelbaumeisterkurs der Oscar-Walcker-Schule Ludwigsburg.