Stiftsmusik Stuttgart

Ein Gespräch mit Johannes Kärcher

Ein Großprojekt wie unser 10-Jahres-Zyklus Bach¦vokal braucht Freunde und Förderer. Maßgeblich unterstützt wird die Sache von der Alfred Kärcher GmbH & Co. KG., deren Konzernchef Johannes Kärcher überhaupt erst den Stein ins Rollen brachte: Er wollte die gute Stuttgarter Tradition hochkarätiger Aufführungen aller Bach'schen Kantaten erhalten. In Stiftskantor Kay Johannsen hat er den richtigen Partner für diese Herausforderung gefunden. Ulrike Albrecht sprach mit Johannes Kärcher darüber, wie alles begann.

Lieber Herr Kärcher, Sie waren einer der Hauptinitiatoren für den Zyklus Bach¦vokal. Wie kam’s dazu?

Angefangen hat es eigentlich, als Helmuth Rilling nicht mehr Kantor an der Stuttgarter Gedächtniskirche war und damit die lange Tradition der Bach-Wochenenden, die er dort mit Kantaten gepflegt hat, einzuschlafen drohte. Ich fand das sehr schade, und als der damalige Stuttgarter Prälat Martin Klumpp mit der Idee auf mich zukam, Rillings Format der Kantaten-Wochenenden weiterzuführen, aber künftig zur Entlastung Rillings auf die Schultern von vier Stuttgarter Kirchenmusikdirektoren zu verteilen, habe ich ihm spontan zugesagt, dass ich ein Drittel der Kosten übernehme, wenn das Projekt zustande kommt. Doch dann passierte erst einmal nichts. Als 2006 der Hans-Peter-Stihl-Preis an Helmuth Rilling verliehen wurde, habe ich bei der Preisverleihung drei der vier Kirchenmusiker getroffen und direkt auf das Thema angesprochen. Keiner reagierte ... vermutlich aus Pietät vor Helmuth Rilling ...

Es war ja so, dass die Stuttgarter zunächst durch Hans Grischkat (1903–1977) und seit den 60er Jahren durch Helmuth Rilling extrem verwöhnt waren mit der Aufführung von Bach-Kantaten auf höchstem Niveau. Und irgendwie dachte ich mir, dass die Stuttgarter diese Verwöhnung auch weiterhin haben sollten – und dass es wichtig ist, dass diese Kantaten erklingen, und zwar nicht nur in einer mehr oder weniger zufälligen Auswahl und in unregelmäßigen Abständen, sondern komplett im Rahmen einer Gesamtaufführung sämtlicher 200 Kantaten innerhalb von zehn Jahren. Nach Beratungen mit dem langjährigen Intendanten der Internationalen Bachakademie, Andreas Keller, und Prälat Klumpp fasste ich schließlich den Entschluss, Kay Johannsen zu fragen, ob er das machen will – denn das ist ja eine Heidenarbeit! Ein Wahnsinns-Projekt! Aber er hat freundlicherweise zugestimmt – und so kam's dann dazu. Wir waren und wir sind sehr stolz, dass das geglückt ist. Und wie schade: In knapp zwei Jahren ist es schon wieder vorbei!

Ganz ehrlich: Wenn man Unternehmer ist und so etwas wie Bach¦vokal fördern kann, muss man sich doch mal überlegen, was Scheichs heute dafür tun, dass irgendwelche vorsintflutlichen islamischen Ideologien verbreitet und vielen jungen Menschen beigebracht werden mit den Milliarden, die aus dem stinkenden Öl dort aus dem Wüstensand gewonnen werden … Dann müssen wir hier doch für unsere Schätze, die wir haben, auch etwas tun! Investieren bedeutet ja als Unternehmer, dass man dort, wo schon Wert ist, Wert hingibt.

Woher kommt Ihr starkes Interesse an Bach? An der Musik überhaupt?

Schon als Kind bin ich mit Chorälen in den Schlaf gesungen worden, die mich jetzt einholen, wenn ich beispielweise die »Johannes-Passion« höre. Seither hat mich die Musik immer begleitet – durch die Schulzeit hindurch bis zum Jurastudium in München, wo ich im Unichor bei Hans Rudolf Zöbeley gesungen habe. Als ich nach meinem Referendariat nach Brasilien ging, bin ich dort wieder in einen Chor gegangen, und damals, 1983 oder 84, habe ich auch den Windsbacher Knabenchor kennengelernt, der gerade auf Tournee in Brasilien unterwegs war. Ich habe mir alle drei verfügbaren Musikkassetten der Windsbacher mit Motetten von Schütz, Bach und aus der Romantik gekauft, und als ich sie gehört habe, ist mir aufgegangen, dass das für mich eine Art von »Zuhause« ist. Mir hat in Brasilien – ehrlich gesagt – nicht viel gefehlt aus meiner Heimat Baden-Württemberg. Mir hat die Laugenbrezel nicht gefehlt, und auch die Menschen haben mir nicht gefehlt … Aber diese Verbindung zwischen Sprache, Musik und Religion, das ist mir damals klargeworden, dass das etwas ist, was es so nur zuhause gibt – und  etwas, woran mein Herz hängt. Wieder zurück in Deutschland, habe ich brasilianische  Stipendiaten unterstützt, die zu Dirigierkursen bei Helmuth Rilling nach Stuttgart kamen. Im Zuge dessen habe ich selbst viele Kurse und Proben mit Helmuth Rilling gehört – und dabei ist meine Liebe zur Musik und speziell zu Bach immer mehr gewachsen. Vor allem aber empfinde ich eben gerade die Verbindung von Wort und Musik als etwas so Bereicherndes! Deshalb interessiert mich vor allem die Vokalmusik.

Geistlich und weltlich?

Ich bin als Kind im Glauben erzogen worden. Später, als junger Mann, bin ich dann aus der Kirche ausgetreten und der Glaube spielte längere Zeit keine große Rolle mehr in meinem Leben. Letztlich war es dann die Musik, die mich zurückgeführt hat zur Glaubensthematik und schließlich in die Kirche. Die Musik in Verbindung mit dem Text. Und der Text ist im Fall der geistlichen Musik eben Glaube, Verkündigung.

Nach acht Jahren Bach¦vokal: Sind Sie zufrieden?

Mir tut jede Aufführung, die ich versäumt habe, Leid. Nicht die Aufführung tut mir leid, aber ich tue mir leid, weil ich sie versäumt habe. Genauso tut mir natürlich jeder Stuttgarter leid, der das nicht hört. Weil er wirklich etwas verpasst. Ich bin stolz darauf, dass das stattfinden kann und ich bin Kay Johannsen und allen seinen Mitstreitern unendlich dankbar, dass wir das mit vereinten Kräften möglich machen. Das macht mich zufrieden, ja. Das Geld, die Aufführungen ganz professionell aufzunehmen, ist zu knapp, aber auf YouTube sieht man doch, dass es doch relativ hochwertig konserviert worden ist und deswegen von Tausenden von Menschen gehört werden kann – was aber natürlich nicht dasselbe ist wie live im Konzert! Das Niveau der Bach¦vokal-Aufführungen ist jedenfalls exzellent, und ich freue mich auf die verbleibenden zwei Jahre!

Und danach? Da capo?

Ich weiß nicht, ob ich das jetzt gleich wieder von vorne anfangen würde … Es sind dann zehn Jahre um, das sind auch zehn Jahre meines Lebens, das jetzt dem Ende entgegengeht. Das soll dann jemand anderes machen! Ich denke, dass Kay Johannsen das ähnlich sieht. Also wenn jetzt jemand anderes den Stuttgarter weiter verwöhnt haben will, dann wird sich sicherlich der Musiker finden und dann wird sich vielleicht auch der Sponsor … und wenn nicht, dann tun mir die Stuttgarter halt zusätzlich leid!