Stiftsmusik Stuttgart

Die Orgel wird gestimmt

Ein Gespräch mit Eva-Maria Fritz

…5366 Orgelpfeifen kurz mal stimmen!?

Eva-Maria Fritz, Orgelbauerin und Mitarbeiterin der Firma Mühleisen im Gespräch mit Markus Friedrich während des Internationalen Orgelsommers 2016

 

Frau Fritz, ich will nicht lange stören – aber hätten Sie kurz Zeit? Wieviele Pfeifen hat denn das Instrument?

Die Orgel hat insgesamt 5366 Pfeifen, von der ganz großen – bis zur Minipfeife….

 

Wie groß ist denn »ganz groß«?

Eine C-Flöte mit 32‹ (Fuß = 9,75 m) ist schon »groß«, oder?!

 

Und die müssen jeden Freitag (während des Orgelsommers) gestimmt werden!? 

...freitags stimmen wir nur 884 Pfeifen, die »Zungen«

 

?????? 

Es gibt Lippenpfeifen, Labiale, und Zungenpfeifen, Linguale. Lippenpfeifen sind aus Metall oder Holz. Bei Lippenpfeifen kommt der Wind von unten und »teilt« sich am Labium, der Lippe. Lippenpfeifen gibt es in vielen verschiedenen Ausführungen. Zylindrisch offene Pfeifen: Principal, Offenflöte, Holzflöte, Sifflöte, Nachthorn, Geigenprincipal, Salicional, Gamba, Äoline. Zylindrisch gedeckte und halbgedeckte Pfeifen: Holzgedackt, Quintade, Rohrpommer, Rohrpfeif, Metallgedackt, Bourdon, Rohrflöte. Konische Pfeifen: Gemshorn, Waldflöte, Blockflöte, Flachflöte, Spitzflöte, Spitzgamba, Koppelflöte. Pfeifen in besonderer oder seltener Form: Dolkan, Trichtergedackt, Doppelgedackt, Wienerflöte, Seraphon, Labialklarinette… Ach Du liebe Zeit, jetzt habe ich mich verplaudert…! Ich wollte doch die Zungenstimmung zeigen… Wissen Sie was, ich stimme jetzt für Frau Demers und zeige Ihnen nächste Woche die Zungenstimmung, o.k.?

 

Wie lange benötigen Sie denn für die Stimmung der 884 Pfeifen?

Also drei Stunden wird es sicherlich dauern!

 

Das war ja hochinteressant, für die, die es genauer wissen wollen, bieten wir aber ja auch Orgelführungen an.

 

 

Fortsetzung des Gesprächs den Freitag darauf

 

... Lippenpfeifen gibt es in vielen verschiedenen Ausführungen

 

ach ja, bei den Lippenpfeifen waren wir letzte Woche stehen geblieben… heute also die Zungenstimmung?

Gut! Wie ich sagte, es gibt die Lippenpfeifen (Labiale) und die Zungenpfeifen (Linguale)

 

Und die müssen jeden Freitag gestimmt werden!?

Ja und Nein! Die Labiale verändern sommers und winters ihre Tonhöhe, die Linguale müssen der neuen Tonhöhe angepasst werden…

 

Ist denn eine Orgel sooooooo empfindlich!?

Ja! Die Temperatur spielt eine große Rolle, aber auch die Luftfeuchtigkeit. Innerhalb einer Stunde sollte sich die Temperatur in der Kirche nur um MAXIMAL 1⁰ C ändern, sonst »stimmt gar nix mehr!« Aus Sicht einer Orgel ist eine volle Kirche gar nicht wünschenswert, jeder Besucher produziert die Wärme einer 100W-Birne….

 

O.k., verstanden. Was sind denn nun ZUNGENPFEIFEN?

Jetzt kommen einige Fachbegriffe:Becher, Stimmkrücke, Zungenblatt und Kehle, Stiefel. Bei Zungenpfeifen kommt der Wind ebenfalls von unten, versetzt die Zunge in Schwingung. Sie öffnet und schließt rasch. Dadurch tritt ein Anblasstrom kurzzeitig in die Kehle. Der Resonanzkörper (Becher) und die Zunge müssen die gleiche Schwingungszahl haben, den sog. »Bourdonpunkt«. Zungenpfeifen sind aus Metall, es gibt sie in deutscher oder französischer  Bauart, mit gekröpftem oder mit Holzbecher. Zungenpfeifen mit natürlichen Becherlängen: Schalmei, Rohrschalmei, Dulcian, Zink, Cromorne, Krummhorn, Musette, Trompete, Klarine, Trompette, Clairon, Tuba, Horn, Fagott, Basson, Kopftrompete, Engl. Horn, Oboe, Hautbois.

 

…und nun brauchen wir natürlich einen Tastenhalter, der die zu stimmenden Töne andrückt?

Der »Tasten-Weiter-Drücker« ist wegrationalisiert und nun ein kleines schwarzes Kästchen in meiner Hand…. Mit einem Metallstab muss ich nun die Stimmkrücke nach unten oder oben schlagen, bis der Ton schwingungsfrei erklingt. 

 

Vielen Dank! Dann 884x fröhliches Stimmen!