Stiftsmusik Stuttgart

... mit Thilo Ratai

Liebe zur Musik, zur Kirche und zu den Menschen
Unser neuer Assistent Thilo Ratai im Gespräch

Stiftsmusiker für ein Jahr: Seit Oktober ist Thilo Ratai »Kirchenmusiker im Praktikum« und damit musikalischer Assistent von Stiftskantor Kay Johannsen bei der Stiftsmusik. Wo er herkommt, was er sich von seinem Stuttgarter Jahr erhofft und was er danach vorhat, darüber sprach Ulrike Albrecht mit dem neuen Kollegen.

Wie kamst Du zur Kirchenmusik? 
Das hat sich erst recht spät ergeben. Mit der Musik begann ich schon im Alter von 8 Jahren, ich lernte Akkordeon und Klavier. Mir war dann relativ schnell klar, dass ich etwas mit Musik machen möchte, weil mir das einfach liegt. Erst mit 15 kam die Orgel als weiteres Instrument hinzu – und durch meinen Orgelunterricht an der Mannheimer Christuskirche lernte ich auch den Beruf des Kantors kennen. Etwa zur selben Zeit entdeckte ich das kirchliche Leben für mich, und beides zusammen weckte in mir den Wunsch, selbst Kirchenmusiker zu werden.

Und diesen Weg hast Du dann zielstrebig verfolgt. 
Ja, das waren ganz intensive Jahre – und aus heutiger Sicht ist es mir ehrlichgesagt ein Rätsel, wie ich das alles gleichzeitig geschafft habe: Ich ging ganz normal zur Schule und habe mein Abitur gemacht. Gleichzeitig war ich mehrmals die Woche abends im Theater und in Konzerten, weil sich hier für mich eine ganze Welt eröffnete. Ich hatte wöchentlich drei bis vier Musikunterrichtsstunden (Akkordeon, Klavier, Orgel und später noch Gesang), und habe zeitgleich die C-Prüfung gemacht. Das Chorsingen, das ja ein ganz existenzieller Bestandteil der Kirchenmusik ist, fing ich erst ganz spät an, erst ein Jahr vor meiner Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg.

In welchem Chor?
Ich habe noch bis weit ins Studium hinein im Bachchor an der Christuskirche in Mannheim mitgesungen und dort die großen klassischen Kirchenmusikwerke kennenlernen dürfen: Bachs Passionen, Mozarts Requiem, das Verdi-Requiem, Mendelssohns Elias und so weiter.

Und Dein Studium ...?
... verlief nach Plan mit Diplomstudiengang B und A-Examen, wobei ich mir etwas mehr Zeit gelassen habe. Wenn man Studentenvertreter ist, erhält man die Möglichkeit, das Studium etwas zu verlängern – und diese Möglichkeit habe ich genutzt, und so konnte ich ein bisschen länger von den vielen verschiedenen Dozenten in Heidelberg profitieren! Momentan studiere ich noch im Studiengang Künstlerische Ausbildung Orgel, den ich voraussichtlich im März abschließen werde.

Wie ich aus Deinem Lebenslauf weiß, hast Du aber in Deinen Studienjahren nicht nur studiert, oder?
Stimmt! Seit 2013 war ich nebenamtlicher Organist in Heidelberg-Kirchheim, einer sehr lebendigen Gemeinde, die sehr viel Flüchtlingsarbeit macht und wo ein reger Austausch zwischen den Nationalitäten und Kulturen stattfindet – in gut besuchten Gottesdiensten und im gesamten Gemeindeleben. Neben der Orgelstelle hatte ich ab Herbst 2014 auch noch einen Kirchenchor in Edingen – mit ganz, ganz wunderbaren Menschen! Anfangs hatte ich musikalisch meine Mühen mit ihnen, aber nach Jahren intensiver Arbeit, haben wir aus eigener Kraft sogar in Bachs Kantatenwerk schnuppern können. Neben anderen Gelegenheiten, war etwa der Actus tragicus ein Leuchtturm unserer gemeinsamen Zeit, aber dieser eingeschworenen Truppe bin ich für sehr vieles einfach dankbar und bleibe ihnen tief verbunden. 

Das klingt nach einer innigen Beziehung ...
Ja, das ist es auch. Und es gibt noch jemandem, dem ich tief dankbar bin: Von Januar bis März habe ich ein Praktikum in Kassel an St. Martin gemacht. Das war im Prinzip ganz ähnlich wie hier – nur kürzer. Wundervoll war Kassel für mich vor allem wegen des Fokus‘ auf zeitgenössischer Musik, durch den ich vieles kennenlernte, was sich mir vorher noch nicht eröffnet hatte. Trotz allem Interessantem war es etwas stressig, das mit meinen finalen Studien in Heidelberg zu verbinden. Ich war dann immer nur ein, zwei Tage pro Woche an der Hochschule und die restliche Zeit in Kassel. Das Ganze wurde dann abrupt durch den Lockdown beendet.

Und nach dem Lockdown?
Da war erst mal ein Monat Orgelüben angesagt, weil ja sowieso alles stillstand in der Welt. Von Mai bis September habe ich dann eine Bezirkskantorenstelle in Sinsheim gemacht. Eine ehemalige Kommilitonin, die diese Stelle innehat, war auf der Suche nach eine  Mutterschaftsvertretung, und da bin ich für die ersten fünf Monate eingesprungen – bis zum Beginn meiner Assistenz hier. Die Zeit war ganz schön aufregend mit Corona! Ich dachte schon, ich bekäme gar keinen Chor mehr zu Gesicht. Zuerst war ich vor allem mit Kommunikation und Corona-Krisenmanagement beschäftigt, erst später konnte ich glücklicherweise doch noch ans Musikmachen denken, auch wenn ich mich mit kleineren Projekten begnügen musste. 

Seit 1. Oktober bist Du jetzt hier bei der Stiftsmusik. Wie ist es Dir in den ersten vier Wochen ergangen? Worauf freust Du dich? Was willst Du lernen?
Also ich freue mich erst mal riesig, eine ganz neue Stadt, vor allem eine Großstadt wie Stuttgart, kennenzulernen, die ja sehr reich an kulturellen Angeboten ist – im Normalfall. Und dann freue ich mich natürlich auch einfach auf die musikalische Qualität, die hier geboten wird: mit Kay Johannsen und seinen Ensembles, mit Bach:vokal, wo ich jetzt ja, wenn uns Corona keinen Strich durch die Rechnung macht,  den Endspurt des 10-Jahre Zyklus’ erleben darf, in dem noch einmal alle Geschütze hochgefahren werden. Und zu guter Letzt denke ich, dass ich im organisatorischen Bereich hier sehr viel lernen kann, was man eben im Studium so gar nicht lernt. Bei der Stiftsmusik läuft das ja alles super, von der Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu den internen Organisationsstrukturen, da kann man sich viel abgucken. 

Musikalisch steht im Praktikums-Jahr bei der Stiftsmusik auch ein Assistentenkonzert auf dem Plan, das am 21. Mai 2021 stattfinden soll.
Ja, stimmt – und darauf freue ich mich insofern ganz besonders, weil ich dabei als Dirigent in Erscheinung treten kann. Denn auch wenn ich von klein auf eher ein Tastenmensch bin: Seit ich die Chorarbeit kennengelernt habe, schlägt mein Herz fürs Singen, weil man eben mit Menschen zu tun hat und Musik und Freude teilen kann! Dass das Ganze dann auch noch auf eine geistliche Botschaft hinarbeitet, die währenddessen verinnerlicht wird, wärmt mir schon etwas das Herz.

Und danach? Schon Pläne?
Eine feste Kantorenstelle wäre schon das Ziel. Im Prinzip ganz klassisch. Bisher hatte ich da keine Bedenken. Ob Corona da in einem Jahr vielleicht immer noch die Welt auf den Kopf stellt? Jedenfalls strecke ich jetzt schon meine Fühler aus, um nach dem Assistenz-Jahr eine eigene Kantorenstelle anzutreten, für die ich dann hoffentlich bestens gewappnet bin. 

Aber an den Abschied wollen wir heute auch noch gar nicht denken. Es geht ja gerade erst richtig los, deshalb: Ganz herzlich willkommen bei der Stiftsmusik - und danke fürs Gespräch!
Sehr gerne. Ich danke ebenso.