Stiftsmusik Stuttgart

Geschichte

Kirchenmusik in der Stiftskirche seit 1381

Rund 700 Jahre ist es her, seit Stiftspropst Marquard von Kaltental das Chorherrenstift von Beutelsbach nach Stuttgart verlegte, wohl um 1321 vollzogen, jedenfalls 1324 vom Bischof von Konstanz bestätigt. Mit der Verlegung des Stifts bekam die schon seit einigen Jahrhunderten bestehende Kirche einen neuen Namen. Das Chorherrenstift ist seit 1552 Geschichte. Der Name der Kirche blieb bis heute.

Auch die Musik an der Stiftskirche hat eine lange Tradition. Seit 1492 sind (mit Lücken) Namen der Stiftsorganist:innen und Stiftskantor:innen bekannt. Die Stiftsmusik wurde 1618 gegründet, um den Gesangs in den Gottesdiensten zu stützen und zu verstärken.

Seit den Renovierungsarbeiten an der Stiftskirche (und im Alten Schloss) ist bekannt, dass die Ursprünge der Kirche (und der ganzen Stadt Stuttgart, der Legende nach hervorgegangen aus einem Stutengarten des Herzogs Liutolf von Schwaben) weiter zurückreichen als früher angenommen. Eine erste kleine Dorfkirche entstand im 10./11. Jahrhundert und wurde bis etwa 1450 zur Dreischiffigkeit erweitert, die in den wesentlichen Zügen bis zur Zerstörung 1944 erhalten blieb. Die Kirche »zum Heiligen Kreuz«, wie die Stiftskirche früher hieß, wurde also nicht erst um 1150/75 erbaut, wie man aufgrund der erhaltenen romanischen Steine am Südturm angenommen hatte. Stuttgart (erstmals um 1160 erwähnt, datiert dann 1229) war zu der Zeit vielmehr schon sehr im Wachstum begriffen und brauchte eine immer größere Kirche; das Stadtrecht gewährte ihr Graf Eberhard der Erlauchte um 1250. Den entscheidenden Wachstumsimpuls gab zweifellos die Verlegung des Beutelsbacher Stifts nach Stuttgart durch Graf Eberhard I. im Jahr 1321; es kamen nun Chorherren hierher, die den Gottesdienst nach genau festgelegten Regeln zu gestalten hatten, unter der Leitung eines »sengers« oder »schul maisters«, der als »kantor« zu wählen war. Bald darauf kam auch die gräfliche Grablege nach Stuttgart, das Residenzstadt wurde. In allen Vorgängerkirchen erklang zweifellos Musik, spätestens seit diesem Datum, doch sind keine Zeugnisse erhalten. 1381 jedoch findet sich ein erster Hinweis auf die Musik in der Stiftskirche; sie erhielt zu diesem Zeitpunkt eine kleine einmanualige Orgel, und um 1400 sind erstmals auch Kantoren bei ihren Namen genannt: Burkhard Spieß, Mangolt von Klübern und Friedrich von Lustnau. Dass die Stuttgarter Musiker bereits auf einem recht hohen Niveau musizierten, lässt sich dann 1458 von einer Urkunde Graf

Ulrichs V. ablesen.

Die Stuttgarter Hofmusik war von Anfang an eng mit der Stiftsmusik verbunden: Über die Pfründe versorgten die Regenten ihre höheren Dienstleute, sodass in der frühen Zeit die Musiker aus den Reihen der Chorherren auf diese Weise zugleich im Dienste des Hofes standen. Die württ. Hofkapelle wird bald fassbar durch Hinweise von außen: 1449 ist in einer Urkunde aus dem schweizerischen Bern das Lob »des von wirtemberg pfiffer« zu lesen, 1485 in einer Augsburger Quelle »Verehrungen … beyder Herren von wirttemberg luttenschlager und zinckenplaser «. Auswärtige Dienste brachten auch eine Extra-Entlohnung ein!

Als Württemberg 1495 zum Herzogtum erhoben wurde, bestand die Hofkapelle aus 5 geistlichen Sängern, 6 Kapellknaben, 5 Trompetern, dem »Lautenisten Philipp«, dem »Beckenschläger Martin« und »Herrn Hans organist«. Am Stift ist für das 15. Jahrhundert das Musizieren von Chorknaben (»pueri chorales«) belegt. Unter dem musikalisch sehr interessierten und wohl auch talentierten Herzog Ulrich, der von 1503 bis 1550 regierte, erlebte Stuttgart dann eine erste musikalische Hochblüte. Er soll nach einer zeitgenössischen Quelle selbst gesungen und komponiert haben und holte Musiker an seinen Hof – und damit an seine Hofkirche –, unter welchen bereits bis heute bekannte Namen zu finden sind, allen voran Sebastian Virdung (berühmt als Vertreter des Cantusfirmus-Liedes); ferner werden als Kapellmitglied Johann Süß (später Kapellmeister) und als Organist um 1500 Jörg Scharpff genannt, von dem in Klebers Tabulaturbuch von 1524 ein Praeambulum enthalten ist.

Indem die Musiker der Hofkapelle mit dem Herzog zu den Reichstagen von Konstanz (1507) und Worms (1509) reisten, wurde ihr Ruhm in allen deutschen Landen verbreitet, und 1512 wurden sie zu der ehrenvollen Aufgabe des gemeinsamen Musizierens mit der kaiserlichen Kapelle herangezogen, was sie laut einer Quelle »ubermassen wol« taten. Der bekannte deutsche Komponist Heinrich Finck wirkte zu dieser Zeit, von 1510 bis 1514 als Hofkapellmeister und schuf festliche Musik, zum Beispiel für die Hochzeitsfeier des Herzogs mit Sabina von Bayern 1511, zu der wohl seine 6- bis 7-stimmige Missa In Summis erklang. Der Aufwand für dieses üppige, mehrtägige Fest steht heutigen Promi-Event-Trauungen kaum nach …

Die mittlerweile auf 30 Sänger und Instrumentalisten angewachsene Kapelle konnte Ulrich mit päpstlicher Unterstützung bis 1519 halten; nach Bauernaufstand (»Armer Konrad «), Vertreibung und Ulrichs Konversion zum Protestantismus zerfiel sie jedoch. Bei seiner Rückkehr aus dem Exil in Mömpelgard (Montbéliard) 1534 wurde sozusagen automatisch die Reformation in Württemberg eingeführt, nach dem Grundsatz »Cuius regio, eius religio«. In der Stiftskirche wurde am 16. Mai 1534 der erste protestantische Gottesdienst gefeiert, und der Herzog schuf in der Folgezeit die Grundlagen dafür, dass die Kirchenmusik in Württemberg im frühen Protestantismus eine führende Stellung erhielt, mit heute weniger bekannten Musikern wie Ulrich Brätel oder Hans Hickas, und bekannten wie Ulrich (Utz) Steigleder, Sigmund Hemmel, sowie der Sammlung der im Laufe des 16. Jh. entstandenen »Stuttgarter Chorbücher« mit Messen und Motetten für die Praxis, insbesondere der Stuttgarter Daser, Hemmel u. a.

Auch Ulrichs Nachfolger, die Herzöge Christoph (1550–1568) und Ludwig (1568–1593) setzten sich weiter für die führende Stellung der württ. protest. Kirchenmusik ein. Durch die Einführung des Protestantismus wurde natürlich auch das Chorherrenstift aufgelöst, und 1536 erließ der Herzog zur Regelung der Kirchenmusik eine neue Kirchenordnung, die u. a. neben den lateinischen auch »teutsche« liturgische Gesänge, Credo, Psalm und Vaterunser vorschrieb. Die Hoforganisten waren in jener Zeit meist zugleich auch Stiftsorganisten, denn 1552 bestimmte der Herzog, dass die Musiker der Hofkapelle aus dem Kirchenkasten zu bezahlen seien – mit weitreichenden Folgen für die Stuttgarter Musikgeschichte, wie man sich vorstellen kann!

Unter den Organisten finden sich in jener Zeit (ca. 1550 bis 1630) u. a. Namen wie Georg Ostermayer, Johann Reuchlin, Ulrich Steigleder, Jeronimus Vetterlin, Simon Lohet, Wolf Ganß d. Ä. und d. J., Adam Steigleder, Jeremias de la Grange und Gottfried Eckhart. Sie musizierten allesamt noch auf der ersten erwähnten Orgel von 1381, die 1492 zwar repariert werden musste, ihren Dienst aber dann offenbar bis zu einer großen Renovierung durch den »alten Mesner und Orgelmacher Michel Schmid« im Jahr 1580/81 zur Not noch erfüllte. Die Renovierung wurde angeordnet von Herzog Ludwig, »nachdem die Sängerei geordnet ist, … aber auch an Sonn- und Feiertagen die Orgel zum Gesang gebraucht wird.« Selbstverständlich waren auch außer Michel Schmid weitere Orgelmacher in Stuttgart tätig; u. a. begutachtete Marx Gunzer 1600 die (bereits wieder) schadhafte Orgel der Stiftskirche und erteilte seinem Kollegen Sixt Maier genaue Arbeitsanweisungen hierzu.

Im Bereich der Vokalmusik in der Stiftskirche nach 1550 ist zunächst vor allem der bereits erwähnte Sigmund Hemmel zu nennen, Hofkapellmeister von 1551 bis 1554, später noch als Sänger und Komponist tätig. Sein 1569 posthum herausgegebener Psalter Davids, eine Sammlung von richtungsweisenden Psalmliedern, blieb noch lange nach seinem Tod (1564) im Repertoire der Hofkapelle und der Stiftsmusik und war von großem Einfluss auf den württ. Chorgesang.

Kantoren an der Stiftskirche und Pädagogarchen am Gymnasium waren in jener Zeit M. Philipp Michael Caul, Adam Hartmann und M. Jakobus Holder.

In der 1562 als württ. Hofkirche erbauten ev. Schlosskirche im Alten Schloss, die als erste in Süddeutschland in protestantischer Form (mit Querschiff) angelegt ist, wirkte Lucas Osiander als Hofprediger, dessen Fünfftzig Geistlichen Lieder und Psalmen von 1586 den Gemeindegesang in Form des vierstimmigen Kantionalsatzes bis heute prägen. 1572 kam wieder ein bekannter Musiker nach Stuttgart, wohl auf Empfehlung Lassos: Ludwig Daser, der zuvor 12 Jahre lang die bayerische Hofkapelle in München geleitet hatte; 1589 bis 1594 folgte ihm Balduin Hoyoul aus Lüttich als Hofkapellmeister, auch er ein Lasso-Schüler.

Die mittlerweile – bis zum Ende des 16. Jahrhunderts – auf mehr als 50 Mitglieder angewachsene Hofkapelle war immer öfter auch auswärts bei repräsentativen Einsätzen zu hören und hatte seit 1578 sogar eine eigene Instrumenten-Werkstatt, was auf ein immer größeres Gewicht der Instrumentalmusik hinweist. Unter Herzog Friedrich (1593–1608) wurde noch eine eigene Kammermusik angegliedert. Der wohl bedeutendste württembergische Hofkomponist überhaupt, an der Wende zum 17. Jahrhundert tätig, war Leonhard Lechner, der 1585/86 als Tenorist in die württ. Hofkapelle kam, 1589 dann zum Hofkomponisten und nach Hoyouls Tod 1594 zum Hofkapellmeister ernannt wurde. Er versah diese Aufgabe bis zu seinem Tod 1606, und ein großer Teil seiner Werke entstand während dieser Zeit in  Stuttgart, darunter eine klangprächtige, vollstimmige Hochzeitsmotette für Prinzessin Sibylle Elisabeth in Dresden. Nach seinem Tod war es auch mit der führenden Stellung der Kirchenmusik am württembergischen Hof vorbei: Nicht nur die (weltliche) Instrumentalmusik, sondern später auch die Oper, das Theater und das Ballett bildeten zunehmend die Schwerpunkte des Interesses bei Hofe. Für repräsentative Aufführungen weltlicher Musik war schon in den Jahren 1580 bis 1593 im Lustgarten ein größeres, prächtiges Lusthaus im Renaissancestil erbaut worden, und die Quellen rühmen die Pracht dortiger Darbietungen. Für die Figuralmusik in der Stiftskirche hatten im 16. Jahrhundert nach der Schulordnung von 1501 die Präzeptoren, dies waren  »wolbestimmte« Schüler des Pädagogiums, unter Anleitung und Verantwortung des Kantors als Rector musices zu sorgen; der Rector selbst musste als »collaborator V. classis « mit den Schülern der 5. Klassen täglich um die Mittagszeit das »exercitium musicale« abhalten, als Vorbereitung auf den Besuch der weiterführenden Seminare oder das Ev. Stift, auf dass sie hierfür »im gesang schon abgericht seyen«. Der Herzog drängte 1586 den Pädagogarchen, künftig mehr zu »exercieren «, sodass in der Stiftskirche sonn- und feiertags »Teutsche Psalmen kontrapunktweise «, manchmal auch lateinische Motetten vor und nach der Predigt gesungen werden könnten. Offenbar war er erfolgreich, denn schon ein Jahr später wurden die gewünschten Psalmgesänge nun »fein lustig und anmuttig« musiziert. Doch nachdem es 1617 wieder Grund zu Klagen gab, erreichten Propst Erasmus Grüninger und Stiftsprediger Tobias Lotter durch eine Eingabe am 1. Juli die Einrichtung einer Instrumentalmusik. So erfolgte 1618 endlich die Gründung einer »Stiftsmusik«, die nicht nur den Figural-, sondern auch den Gemeindegesang stützen sollte, der zu jener Zeit einstimmig und unbegleitet war, geleitet durch den Kantor, im Wechsel mit dem Schülerchor. Diese Stiftsmusik bestand aus einem Meister und fünf Musikern; die Leitung übernahm Joachim Boeddecker aus Hagenau (Elsass). Nach den Statuten musste dieser »Maister« u. a. gute Motetten einüben und an Sonn- und Feiertagen mittags vom Turm musizieren. Der alte Brauch des Turmblasens besteht bis heute.

Trotz des Dreißigjährigen Krieges vermochte die Stuttgarter Stiftsmusik zunächst das Niveau noch zu wahren, sogar weitere Noten zu erwerben, aber nach der Schlacht von Nördlingen 1634 und dem Einzug von Truppen der Generäle Gallas und Brunner musste man in den Straßen um Geld für den Lebensunterhalt der Musiker und Lehrer betteln. Die Stiftsmusik wurde schließlich 1638 von den Jesuiten und Kapuzinern übernommen, und protestantische Gottesdienste waren nur noch »toleramusweise« möglich., ein »Cantor« blieb allein als Stiftsmusiker zurück, und Stiftsorganist Hanns Ulrich Steigleder hatte für Gottesdienste beider Konfessionen zu spielen. Außerdem raffte die Pest die meisten Musiker dahin, wie in einer Eingabe des Konsistoriums aus dem Jahre 1641 beklagt wird. Nun erscheint erstmals auch der Hinweis, dass aus dieser Not heraus der Gemeindegesang nur noch mit Orgelbegleitung möglich sei. In den letzten Kriegsjahren war man dann ganz auf Freiwillige angewiesen, und zur Friedensfeier 1648 musste man Studenten aus Tübingen verpflichten. Trotz einer von Valentin Andreä unterzeichneten Eingabe sollten aber nach dem Westfälischen Frieden noch zwei Jahre verstreichen, bis endlich im Dezember 1650 der Vogt und Bürgermeister von Stuttgart erklärte, dass nun »nach erlangtem lieben Frieden« die Stadt wieder ihre Verpflichtungen wahrnehmen wolle, und erst seitdem dann Philipp Friedrich Boeddecker 1651 zum Stiftsorganisten ernannt wurde (er kam vom Straßburger Münster nach Stuttgart), mit dem festen Vorsatz, die Stiftsmusik »in ein rhümlichen Flor und Ehre« zu bringen, war wieder eine geordnete Stiftsmusik möglich. Die Kirchenordnung von 1652 bestimmte nun u. v. a., dass an Weihnachten wie vor 1634 zu musizieren sei.

Parallel verlief auch die Entwicklung der Hofkapelle in dieser kriegsbelasteten Zeit; nach Lechners Tod war die Leitung eher unbedeutend, die Kapelle konnte aber weiterhin durch die Qualität ihres Musizierens überzeugen, die in jenen Jahren von der »engelländischen Compagnia«, einer Gruppe exzellenter englischer Musiker unter Führung des Zinkenisten und Viola-da-gamba-Spielers J. Price geprägt und weithin berühmt war; die Compagnia wurde allerdings 1628 entlassen und ging an den Dresdner Hof. Mehrere Kapellmitglieder taten sich auch durch Kompositionen hervor, so z. B. Andreas Berger, K. Hagius, Johann Eckhardt, G. Boffi und Ch. Tessier.

1621 wurde der seit 1599 als Tenorist in der Kapelle singende Basilius Froberger zum Kapellmeister ernannt, der dieses Amt innehatte bis zu seinem Pest-Tod 1637. Seine fünf Söhne waren später größtenteils selbst wieder Mitglieder der Hofkapelle. Der begabteste Sohn Johann Jacob jedoch empfing in Stuttgart zwar prägende Eindrücke in seiner Jugendzeit, war Schüler Johann Ulrich Steigleders und lernte als solcher vermutlich 1627 Samuel Scheidt bei seinem Besuch in Stuttgart kennen, ließ sich aber offenkundig nicht hier halten, sondern zog nach Italien, an die Quelle der damaligen Musik.

1621, als Basilius Froberger seinen Dienst antrat, ist auch das Jahr, für welches der Verkauf der alten Stiftsorgel nach Dürrmenz bei Mühlacker berichtet wird; dass sie dort wohl ihren Dienst bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts tat, ist ein Beleg für die hohe Qualität dieser kostbaren Instrumente. Allerdings war ihr Zustand über viele Jahre als äußerst baufällig beklagt worden! Organist war von 1617 bis 1635 Johann Ulrich Steigleder. Obwohl er einer der bedeutendsten Organisten und Orgelkomponisten seines Zeitalters war (s. z. B. seine Ricercar Tabulatura und das Tabulatur Buch … Vatter unser … variirt, Straßburg 1627), hatte auch er ständig mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen: 1620 beantragte er beim Herzog, sein Gehalt möge jenem des Hoforganisten gleichgestellt werden (mit nicht beglaubigtem Ergebnis); und noch sechs Jahre später musste er für den Erwerb eines Hauses beim Dienstherrn um einen Kredit nachsuchen, wofür er zusätzlich nicht nur bei der Kammer-, sondern auch bei der Kapell- und Hofmusik mitwirken musste. Diese enge Verquickung der Aufgaben in der Stiftskirche und am Hof hatte allerdings immer wieder einmal Klagen der Stiftsprediger zur Folge, dass ihre Organisten der letzteren den Vorrang einräumten … Deutlich wird hieraus jedenfalls, dass die Stiftsorganisten – damals schon – wie auch die Instrumentalisten in einem großen Umfang zusätzlich zu ihrem jeweiligen Kirchendienst künstlerisch tätig waren. Ihre kirchlichen Aufgaben sind gelegentlich in den Akten umrissen, beispielsweise erließ ein »renovierter Staat und Ordnung« vom 12. November 1622, dass während der Austeilung des Abendmahls Instrumentalmusik erklingen solle, u. ä. mehr. Um »weltliche« Aufgaben wie das Musizieren bei Hochzeiten etc. gab es allerdings trotz solcher Regelungen beispielsweise bei den Bläsern immer wieder einmal Streit. Unter ihnen, zeitgenössisch »Zin(c)kenisten« genannt, treten im Laufe der Jahrhunderte als besonders qualifizierte wie auch gelegentlich als besonders streitsüchtige Musiker im 17. Jahrhundert die Stiftszinkenisten Johann Wilhelm Mayer und Boller aus der Anonymität heraus, im 18. Jahrhundert Elias Zimmermann, Johann Michael Glockhardt und Erhard Eberlen, als Stiftsmusikus auf der Violine um 1800 Johann Georg Nanz.

Der Leiter der 1618 gegründeten Stiftsmusik Joachim Boeddecker (Vater des Organisten Philipp Friedrich) scheint manchmal gezwungen gewesen zu sein, die Musiker mit »Maultäschen« zur Disziplin zu rufen … Die Quellen berichten aus jener Zeit auch von lang anhaltenden Auseinandersetzungen des Stiftsorganisten (der sich Hoffnung auf den Kapellmeisterposten gemacht hatte …) mit Hofkapellmeister Samuel Capricornus. Dieser führte in wenigen Jahren die nach dem Fridensschluss wieder gegründete Hofkapelle zu einer neuen Blüte.

Wie bereits erwähnt, brachte Philipp Friedrich Boeddecker seit 1651/52 auch für die Stiftsmusik wieder bessere Zeiten. Er bewirkte bei Hofe eine deutliche Erhöhung der finanziellen Unterstützung, sodass eine kleine Begleitorgel für das mehrchörige Musizieren angeschafft werden konnte: Da Boeddecker – der bedeutendste Vertreter dieser elsässischen Musikerfamilie – eine vielseitige, auch doppelchörige Musizierpraxis anstrebte, wurde auf seine Initiative hin 1660 auf dem Schülerlettner ein Regal erbaut. Für dieses Musizieren mit den Kapellknaben des Pädagogiums bestimmt waren zweifellos seine zahlreichen Kompositionen, z. B. die Psalmen contrapuncts weiß; leider sind nur wenige, sehr wertvolle Beispiele seiner Werke erhalten. Die neue Hauptorgel der Stiftskirche wurde in den Jahren 1668 bis 1670 von den Orgelbauern H. G. Ehemann aus Ulm, seit einiger Zeit Hoforgelmacher in Stuttgart, und H. J. Fesenbeckh aus Tübingen (seinem Schwiegersohn) auf dem Lettner eingebaut. Die Figuralmusik hatte mit Begleitung dieses Instruments vor der Predigt eine »Motetta oder Concerto« zu musizieren. Der Gemeindegesang wurde vom Pädagogarchen als »choralis« auf dem Knabenchor geleitet, und die Orgel musste »in ziemblicher Stärke zu dem Choral mitschlagen.« Der Knabenchor für den Figuralgesang sollte nach einem Konsistorialerlass von 1652 nur noch aus höchstens 6 Sängern, und zwar den besten, bestehen. 1670 regelte ein ausführlicher Erlass die Figuralmusik und den Gemeindegesang »in hiesiger Stiftskirche«.

Nur ein kurzes Gastspiel in Stuttgart gab Johann Pachelbel, als er von 1690 bis 1692 als Organist der Herzogin Magdalena Sibylla wie als Stiftsorganist tätig war.

Über die Ehemann/Fesenbeckh-Orgel von 1668/69 wird berichtet, dass – nach ersten Klagen bereits 1679 – Hoforgelmacher Johannes Würth 1707 eine Erweiterung auf 15 Register auf – nach wie vor – einem Manual und Pedal vorschlug und das Instrument 1741 erneut repariert wurde, dieses Mal von Georg Friedrich Schmahl aus Ulm. Noch im 18. Jahrhundert scheint die Orgel dann von Joh. Jakob Weinmar aus Bondorf auf zwei Manuale (Hauptwerk, Rückpositiv, Pedal), mit 21 Registern erweitert worden zu sein. Dieses Instrument erfüllte bis 1810 seinen Dienst in der Stiftskirche.

Elsie Pfitzer (aus der Publikation: 50 Jahre Stunde der Kirchenmusik, 2008)

Der Schwerpunkt der Musik am württembergischen Hof lag in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf Maskenaufzügen, Pantomimen und Balletaufführungen, die im Lusthaus veranstaltet wurden; als dieses zu klein wurde, erhielt der Lustgarten ein weiteres, 1674 festlich eröffnetes Komödienhaus im Lustgarten.

Die Bestallung J. Kussers aus Pressburg (der ein Freund des 1665 verstorbenen Samuel Capricornus war) zum Informator und Directos musices in eben jenem Jahr gab jedoch auch der Kirchenmusik neuen Auftrieb, und das neu erbaute »Gymnasium illustre« konnte 1686 mit festlich besetzer Musik eingeweiht werden. 1699 zum 1. Ober- Kapellmeister ernannt, leitete der Sohn des alternden Stiftsmusikdirektors, Sigmund Kusser eine Blütezeit der Oper in Stuttgart ein; nach ihm übernahmen die Kapellmeister J. Ch. Pez und Giuseppe Antonio Brescianello das Amt. Mit dem Bau der Residenz Ludwigsburg (1707–34) und dem 1728 erfolgten Umzug des Hofes dorthin schließlich ging auch die Hofkapelle aus Stuttgart fort. Ihr war unter den nachfolgenden Regenten ein wechselhaftes Schicksal beschieden; u. a. kehrte sie unter Karl Alexander wieder nach Stuttgart zurück.

An der Stiftskirche folgte auf Philipp Friedrich Boeddecker J. K. Keßler, 1686–1707 dann Philipp Jakob Boeddecker, der 1701 die Manoductio Nova des J. K. Kreß und seines Vaters herausgab; im übrigen ist er hauptsächlich für seinen Zwist mit dem Hofmusikus Frohnmayer bekannt. Nach ihm war dann – wieder ein bekannterer Name – 1708– 1719 Johann Georg Christian Störl aus Kirchberg/Jagst, ein weitgereister Schüler Pachelbels, »Stiftskapellmeister und –organist«, aber auf Wunsch des Kirchenrats nur mit einer »ordinari« Besoldung ausgestattet. Er legte das Schlag-, Gesang und Notenbuch für Württemberg vor (1710), mit den kurzen, schnörkelhaften Zeilenzwischenspielen, die lange Zeit für den württ. Choralgesang prägend waren. Auf Störl folgte – wieder nur mit dem einfachen Amt als Stiftsorganist – bis 1748 sein Schüler J. G. Zahn. In dessen Amtszeit bahnte sich bei der Vokalmusik der entscheidende Umschwung zum gemischten Chor an, denn seit 1716 sangen regelmäßig einige Frauen mit. Andererseits zogen sich nun die Präceptoren des Gymnasiums von der Figuralmusik zurück, und der Chor verlor rasch an Niveau, wurde zu einem Chor von Handwerkern und ihren Ehefrauen und Töchtern, die zudem gegen Bezahlung sangen. Auch der Posten des Stiftsmusikdirektors war dementsprechend wenig respektiert; für die Jahre 1713 bis 1760 ist meist nur sein Nachname (Baumann) genannt …

Der Posten des Stiftsorganisten allerdings konnte mit einem Berufsmusiker besetzt werden; nach Zahns Tod 1748 wurde der Kammermusiker und Konzertmeister Philipp David Stierlin aus der Familie des früheren Hoforganisten und Vizekapellmeisters Joh. Chr. Stierlin dazu ernannt, 1760 wurde er zusätzlich Director musices und Lehrer am Gymnasium. Sein Sohn Johann Philipp folgte ihm nach; aus jener Zeit sind Anweisungen an die Organisten bekannt, auf der Orgel »keine theatralischen Stücke« aufzuspielen. Andererseits wurden die Stiftsorganisten offenkundig sehr respektiert, da sie bei Fragen außerhalb Stuttgarts oft und gerne zu Rate gezogen wurden. Im hohen Alter musste der Vater Stierlin noch einmal die Nachfolge seines früh verstorbenen Sohnes antreten; nach seinem Tode 1801 gab es dann fünf Interessenten, darunter Justin Heinrich Knecht aus Biberach, der Autor des bekannten Choralbuchs, doch das Konsistorium entschied sich für den Unbedeutendsten, den bisherigen Stellvertreter Bofinger, dem – wiederum in Teilung der Ämter – Johannes Christian Ludwig Abeille als Stiftsmusikdirektor zur Seite trat. Dieser setzte sich 1801 und 1803 zur Verbesserung der Vokal- und Instrumentalmusik wenigstens für ein Doppelquartett statt des vorhandenen einfachen ein. Stiftstenorist Fischer folgte 1819 Bofinger als Organist, nachdem der bekannte Universitätsmusikdirektor Friedrich Silcher seine Bewerbung wieder zurückgezogen hatte.

Für die weltliche, die Hofmusik war mit dem Regierungsantritt des erst 16-, knapp 17-jährigen Herzogs Eberhard Ludwig 1693 eine neue Blütezeit Stuttgarts als Opern- und Musikzentrum von internationaler Geltung eingeleitet  worden: zuletzt spielte man gar in Paris Inszenierungen aus dem Ludwigsburger Schlosstheater nach! Den von Eberhard Ludwig erhofften Neubeginn in der seit 1709/10 rasch erbauten Stadt Ludwigsburg zu erleben war seinem Nachfolger Carl Eugen vergönnt, mit dem das ganze Zeitalter des Ludwigsburger Barocks verbunden ist. Carl Eugen, selbst im Generalbass ausgebildet und am Hofe Friedrichs des Großen (also unter Carl Philipp Emanuel Bach) erzogen, stellte bekannte Musiker (I. J. Holzbauer, Niccolò Jommelli u. a.) ein, ließ das Lusthaus zum Hoftheater umbauen und holte gefeierte Opern und ihre Interpreten nach Stuttgart, nach dem Umbau der Oper (1758/59) für Ballettaufführungen auch J. G. Noverre mit seinem »getanzten Drama«. Auch Noverres Einfluss lässt sich bis heute erkennen. Das kostspielige, u. a. von Leopold Mozart bewunderte Opern- und Ballettleben Stuttgarts ließ sich jedoch auf Dauer nicht halten, und mit Jommellis Rücktritt 1769 endete diese Blütezeit von Oper und Ballett in Stuttgart. Der Herzog wiederum verwirklichte seine Ideen von der Heranbildung eines künstlerischen Nachwuchses hierfür durch die Gründung der Hohen Carlsschule 1770 (1781 zur Hochschule erhoben) und parallel dazu der »École des desmoiselles « auf der Solitude für die Mädchenbildung.

Ein deutscher Kapellmeister nach einer langen »italienischen« Phase war J. R Zumsteeg, ein Schüler Polis, an der Hohen Carlsschule ausgebildet und ein Freund Friedrich Schillers, der als Balladenkomponist befruchtend auf Carl Löwe, Franz Schubert u. a. einwirkte. Nach langer Festungshaft war Ch. F. Daniel Schubart als Hof- und Theatraldichter und Direktor von Oper und Schauspiel tätig; in den Jahren nach 1788 konnte er glanzvolle Opern-Erstaufführungen von Dittersdorf und Mozart verzeichnen.
Elsie Pfitzer (aus der Publikation: 50 Jahre Stunde der Kirchenmusik, 2008)

Die kulturelle Blüte von Theater und Hofmusik konnte nach Carl Eugens Tod (1796) nicht mehr erhalten bleiben; das Hoftheater musste verpachtet werden und verflachte, wie Goethe 1797 feststellen musste. Als Nachfolger Zumsteegs wirkten J. F. Kranz und 1807– 1812 der Münchner Hofkomponist F. Danzi.

Bekanntere Persönlichkeiten wie Knecht, Weber, Kreutzer und Hummel blieben nur kurze Zeit. Erst unter der langjährigen kompetenten Leitung Paul von Lindpaintners war eine dauerhaft gute Qualität der Stuttgarter Oper, mit guten Interpreten und großem Anklang beim Publikum, gewährleistet. Er richtete auch Abonnementskonzerte im Hoftheater, später im Königsbau (Redoutensaal) ein, bei denen berühmte Virtuosen wie Liszt, Paganini, H. Vieuxtemps u. a. auftraten, Meyerbeer Aufführungen seiner Opern leitete oder erstmals eine Wagner-Oper (1859) und das Deutsche Requiem von Brahms (1871) erklangen. Als bedeutende Gastdirigenten kamen u. a. Lachner, Reinecke, Bruch und Saint-Saëns nach Stuttgart, Clara Schumann konzertierte hier mehrmals, und Brahms war 1881 als Dirigent eigener Werke und Klaviersolist zu erleben. Heinrich Abert, Sohn des bedeutenden Kapellmeisters, bereicherte die Stuttgarter Musikgeschichte um wichtige Forschungen. Gleichzeitig brachte das aufblühende Chorwesen (1824 Gründung des Stuttgarter Liederkranzes, 1864 Eröffnung der alten Liederhalle; Gründung des Vereins für klassische Kirchenmusik 1847, später Stuttgarter Oratorienchor), die Einführung privater Konzertreihen (z. B. die »Sonntagsmusiken« von Emilie Zumsteeg seit 1820), die Gründung der Stuttgarter Musikschule 1857 und des Konservatoriums 1865 starken Auftrieb für das Stuttgarter Musikleben. Große Aufführungen fanden in der Stiftskirche statt, beispielsweise Verbandstreffen des seit 1877 bestehenden Evangelischen Kirchengesang-Vereins für Württemberg (heute Verband Evang. Kirchenmusik in Württemberg), zum 25jährigen Jubiläum 1902, das Jubiläum des Deutsch-evang. Kirchengesang-Vereins 1907, eine Faißt-Feier zum 100. Geburtstag 1923, sowie eine Fülle weiterer derartiger Großveranstaltungen – bis hin zu den gemeinsamen Chorkonzerten beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart 1999 oder dem großen Fest des Verbandes zum 125jährigen Bestehen mit dem Titel »Wort ist Klang« im Juli 2002 u. ä.

Nach der ausgesprochenen Blütezeit unter Lindpaintner war die Oper wieder für einige Zeit eher zweitrangig, bis die Berufung M. von Schillings 1908 neue Höhepunkte einläutete, wie 1909 das 45. Tonkünstlerfest des ADMV mit Richard Strauss, 1912 die Uraufführung der Ariadne dieses Komponisten unter seiner Leitung, sowie die Einweihung der beiden Bühnenhäuser, des Kleinen und des Großen Hauses, als Ersatz für das 1902 ausgebrannte Hoftheater. Unter Leitung von Fritz Busch (seit 1918) wurden vor allem zahlreiche zeitgenössische Werke hier (teils ur-)aufgeführt, z. B. Schreker, Hindemith u. a. Der Nikisch-Schüler Carl Leonhardt veranstaltete in den 20er und 30er-Jahren verschiedene Zyklen von Gedenkkonzerten, u. a. für Carl Maria von Weber und Richard Wagner, sein Nachfolger Herbert Albert engagierte sich wieder verstärkt für zeitgenössische Werke. In der Nachkriegszeit wurde Ferdinand Leitner nach Stuttgart berufen, der mit seinen Inszenierungen viel Aufsehen erregte, wie es bei den Stuttgarter Bühnen immer wieder einmal vorkam, sei es bei Claus Peymann (z. B. Faust), sei es als mehrfach zum »Opernhaus des Jahres« gekürte Spielstätte in jüngster Zeit.

Auch in der Stiftskirche hatte die Geschichte des württembergischen Hofes noch im 19. Jahrhundert große Auswirkungen: Nach der Säkularistion und der Erhebung Württembergs zum Königreich wünschte Friedrich I., nunmehr König, auch eine repräsentative Orgel in seiner Stuttgarter Pfarrkirche zu haben. Aus der ihm zugefallenen Abtei Zwiefalten schenkte er daher die 1771–77 von Joseph Martin (einem Schüler Joseph Gablers, des Schöpfers der Orgel in der Klosterkirche Ochsenhausen) erbaute viermanualige Orgel mit ihren 64 Registern der Stiftskirche. Sie wurde unter Aufsicht Justin Heinrich Knechts, zu der Zeit Musikdirektor in Biberach, 1807 nach Stuttgart verfrachtet und in der Stiftskirche in den Folgejahren auf dem Lettner bzw. auf einem eigens erstellten Podium im Chor aufgebaut, was infolge ihrer jahrelangen Vernachlässigung mit großen Problemen und Sanierungsmaßnahmen verbunden war. Nicht zuletzt musste die Kirchenkasse für diese großzügige »Schenkung« geradezu horrende Kosten tragen! 1837 von Eberhard Friedrich Walcker auf die Westempore versetzt, erfuhr das Instrument außerdem noch verschiedene Änderungen, am Gehäuse, im System (Kegel- statt Schleifladen), in der Disposition etc. – vor allem aber erhielt es die berühmte zweite Pedalklaviatur, die bis zur Zerstörung der Stiftskirche durch die Bombenangriffe in der Nacht zum 26. Juli 1944 als letzte zweite Pedalklaviatur im sehr weiten Umkreis erhalten blieb.

Als Stiftsorganist war im 19. Jahrhundert über eine sehr lange Zeitspanne, von 1827 bis 1872, Conrad Kocher tätig (der durch ein Choralbuch ebenso bekannt ist wie durch seinen Versuch, den vierstimmigen Gemeindegesang einzuführen), von 1872 bis 1894 dann Immanuel Faißt. Wie seine Nachfolger wirkte auch er als Professor am 1865 gegründeten Konservatorium, das später (1921) zur Musikhochschule erhoben wurde. Ihm folgte Heinrich Lang, der das Amt bis 1919 versah. Arnold Strebel war der Stiftsorganist, der den Untergang »seiner« geliebten Stiftsorgel im Amt erleben musste – und kaum verkraften konnte: Er bekannte »Mein Lebenswerk ist nun vollendet« und verstarb über seinem Schmerz im darauffolgenden Jahr.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der zunächst als Gemeindekirche genutzte, relativ wenig zerstörte Chorraum der Stiftskirche 1953 eine zweimanualige Chororgel der Firma Weigle, die nach der Renovierung 2003 heute wieder anlässlich der zahlreichen Tagesandachten häufig erklingt. An der nach der Wiedereröffnung der Stiftskirche eingebauten viermanualigen Walcker-Orgel von 1958 war Karl Gerok bis 1969 tätig; als Stiftskantor wirkte August Langenbeck, Leiter des Stuttgarter Kantatenchors. Mit diesem Chor und Eva Liedecke-Hölderlin an der alten Stiftsorgel entstand in der Stiftskirche die Schallplatten-Aufnahme Mit Bach durchs Jahr, die mit den Orgelchorälen aus Bachs Orgelbüchlein und »Bach-Chorälen« des Chores für viele ein ganz wichtiger Begleiter durch das Kirchenjahr und das gesamte Leben wurde.

Herbert Liedecke folgte Karl Gerok nach bis 1978; in diesem Jahr gingen Stiftsorganist und Stiftskantor in den Ruhestand. Martha Schuster übernahm den Dienst an der Orgelbank, Manfred Schreier wurde Stiftskantor, bis 1994 Kay Johannsen wieder beide Ämter in einer Person zusammenführte und die Stuttgarter Kantorei gründete. Später wurde das Amt des Stiftsorganisten wiederbelebt. Die 2. Stiftsorganisten kümmern sich seither in erster Linie um die Gestaltung der Gottesdienste und unterstützen den Stiftskantor, der jedoch auch Orgeldienste übernimmt.

Elsie Pfitzer (aus der Publikation: 50 Jahre Stunde der Kirchenmusik, 2008)

Nach einer langen und intensiven Vorbereitung wurde 2004 die neue Mühleisen-Orgel in der 2003 fertig renovierten Stiftskirche eingeweiht. Sie ist mit Sicherheit einer der hellsten Sterne, die bisher über dem 21. Jahrhundert und der Kirchenmusik in der Stiftskirche aufgegangen sind! Mit ihrem Farbenreichtum hat sie viele neue Freunde der Orgelmusik gewonnen und zieht immer wieder neue Zuhörer an, die zu Orgelkonzerten, -führungen, zu Orgelnächten oder zu den beliebten Orgelkonzerten zum Weihnachtsmarkt im Advent kommen. Eine ganz besondere Atmosphäre lag auch über den Konzerten zur Fußball-WM im Sommer 2006: Selbst derart nach außen hin unterschiedliche Bereiche wie Fußballmatches und Kirchenkonzerte vermochte die Musik überzeugend zu verbinden!

Elsie Pfitzer (aus der Publikation: 50 Jahre Stunde der Kirchenmusik, 2008)

Neben der musikalischen Gestaltung der Gottesdienste in der Stiftskirche sind heute vor allem die verschiedene Konzertreihen prägend für die Musik in der Stiftskirche. Bei der wöchentlichen Stunde der Kirchenmusik sind Vokalensembles aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland zu Gast in der Stiftskirche und führen geistliche Vokalmusik auf. Besondere Konzerte werden von den Ensembles der Stiftsmusik gestaltet: Stuttgarter Kantorei, solistenensemble stimmkunst, Stiftphilharmonie Stuttgart und Stiftsbarock Stuttgart. Bei den Konzerten des Internationalen Orgelsommers und der Orgelmusik zum Weihnachtsmarkt steht die Mühleisen-Orgel im Zentrum der Konzerte. So wird nicht nur im gottesdienstlichen Leben an der Stiftskirche, sondern auch in den Konzerten das ganze Spektrum der heutigen Kirchenmusik erlebbar.

Marie Kaufmann, 2024

Ohne Gewähr auf Vollständigkeit

1492 Hans Frühmader
1494, 1498, 1503

Erwähnung eines "Herrn Hans" oder Johannes Organista

1534 Johannes Schmid
1534-1581 Utz Steigleder (Hoforganist)
1558/60 Jeorgius Ostermaier
... Dotzinger
um 1560 Hans Franz Friess
1582-1583 Wolf Ganss senior
1583-1586

Adam Steigleder

(Er bekam 1586 Urlaub; ob er zurück kam, ist unbekannt)

1586-...

Wolf Ganss junior

1613-1617

Gottfried Eckhardt

1617-1635

Hanns Ulrich Steigleder

1635-1651

Narzissus Schwehlin

1651-1652

Adam Ulrich Schmidlin (Sekretarius)

1652-1668

Philipp Friedrich Bödecker (geb. 1607)

1668-...

Bernhard Friedrich Bödecker (bis zu seinem Tod)

…-1683

(wieder oder noch) Philipp Friedrich Bödecker

1683-1686

Johann Kaspar Kessler (aus Ungarn)

1686-1707

Philipp Jakob Bödecker (Prediger)

1707-1719

Johann Georg Christian Störl

1719-1748

Johann Georg Zahn

1748-1774

Philipp David Stierlin

1774-1793

(dessen Sohn) Johann Philipp Stierlin

1793-1801

(wieder) Philipp David Stierlin

1801-1818

Johannes Gottlieb Bofinger (Schulmeister aus Feuerbach)

von 1774-1801 auch Stiftstenorist

Im Wettbewerb mit ihm wurde Justin Heinrich Knecht als "Ausländer" abgewiesen.

1819-1827

Stiftstenorist Fischer

1827-1865

Dr. Konrad Kocher (Lebensdaten: 1786-1872)

1865-1894

Immanuel von Faißt (1823-1894)

Mitbegründer des Vereins für klassische Kirchenmusik

1894-1919

Heinrich Lang (1858—1919)

Mitarbeit am Neuen Gesangbuch und Choralbuch (1912)

1919-1944

Arnold Strebel (1879-1949)

Einführung der Stiftsmusiken "Motetten", Begründer der "Kirchlichen Orgelschule“ in Stuttgart, der Vorläuferin der jetzigen Kirchenmusikschule.

1958-1978

August Langenbeck als Stiftskantor (1912-1981)

1958-1969

Karl Gerok als Stiftsorganist (1906-1975)

1970-1978

Herbert Liedecke Stiftsorganist (1912-1998)

1978-1991

Martha Schuster als Stiftsorganistin (*1948)

1978-1994

Menfred Schreier als Stiftskantor (*1943)

Seit 1994

Kay Johannsen (*1961) als Stiftskantor

2015-2018

Felix Mende (*1987) als 2. Stiftsorganist

2018-2021

Kensuke Ohira (*1986) als 2. Stiftsorganist

Seit 2022

Clara Hahn (*1991) als 2. Stiftsorganistin